Vor genau 119 Jahren, im Februar 1900, wurde das Amtsgericht in der Schüttorfer Straße nach gut zweijähriger Bauzeit in Betrieb genommen. Jeder Bentheimer kennt das markante Gebäude, das neben dem Gericht Wohnräume für den Amtsrichter sowie ein Gefängnis beherbergte. Seit einigen wenigen Jahren erstrahlt das Gebäude als eines der gelungensten Beispiele für die Innenstadtsanierung im neuem Glanz. Wenig bekannt ist dagegen die Existenz des alten Amtsgerichts in der Wilhelmstraße, das bis 1900 in Betrieb war und ebenfalls ein Gefängnis aufwies. Und zu diesem Gefängnis gibt es Seltsames zu berichten.
Wilhelm Hagerott (sen.) ist es zu verdanken, das eine „Feuerordnung“ für das Gefängnis überliefert wurde. In seinem Beitrag „Über das Amtsgericht in Bentheim“ im Bentheimer Jahrbuch 1982 (Verlag Heimatverein der Grafschaft Bentheim e.V.) werden die 13 Paragraphen der Feuerordnung zitiert, die am 18. Juni 1887 durch den Polizeidiener Deters „durch wörtliche Vorlesung“ bekannt gemacht wurden.
Diese Feuerordnung ist aus heutiger Sicht ein typisches Beispiel bürokratischen Ordnungswahns in einem Obrigkeitsstaat. Natürlich kann man darüber kräftig schmunzeln und herzhaft lachen. Andererseits kann man in diesem Schriftstück auch einen Geist entdecken, der in die großen Katastrophen des anbrechenden Jahrhunderts mündete. Hier ist die Bentheimer Feuerordnung, die „Instruktion für die Gefängnisbeamten beim Ausbruch eines Feuers“:
§ 1
Bei Ausbruch eines Feuers im Gefängnis oder in gefährlicher Nähe desselben begeben sich der Gefängnisvorsteher und der Inspektor in das Gefängnis.
§ 2
Bis zur Ankunft der in §1 benannten Beamten hat der Gefangenenaufseher die nach Lage der Sache gebotenen Anordnungen zu treffen, insbesondere an die anwesenden Gendarmen und Polizeidiener das Ersuchen um Sicherung und Bewachung der Gefangenen zu richten.
§ 3
Der Gefangenenauffseher hat den in § 1 benannten Beamten von dem Ausbruch des Feuers durch zuverlässige Personen sofort Anzeige zu erstatten und das Königliche Landratsamt sowie die Feuerwehr z.H. des Magistrats zu benachrichtigen.
§ 4
Die Gefängnisbeamten dürfen das Gefängnis bzw. den Brandplatz nur mit Genehmigung des die Leitung habenden Gefängnisbeamten wieder zu verlassen.
§ 5
Die Gefängnisbeamten haben zwar die Löschung eines ausbrechenden Feuers bis zur Ankunft der Feuerwehr mit allen Kräften zu versuchen, hauptsächlich aber die Gefangenen zu sichern und zu bewachen.
§ 6
Bei Gefahr ist der Verschluß der Zellen lediglich durch die Querstange herzustellen, so daß die Riegel zurückgezogen sind. Der Gefangenenaufseher darf sich alsdann von dem Korridor vor den Zellen nicht entfernen.
§ 7
Die Gefangenen sind in den Spazierhof zu führen, sobald das Hauptgebäude oder ein Nachbarhaus brennt; brennt das mit dem Spazierhof zusammenhängende Nebengebäude (Scheune), so sind die Gefangenen in Zelle 1, welche im Erdgeschosse des Hauptgebäudesbelegen, unterzubringen. Genügt das nicht, so erfolgt die Überführung in die Detensionszelle und verfügbare Räume des städtischen Rathauses.
§ 8
Der Gefangeneaufseher hat die Überführung der Gefangenen in den Spazierhof bzw. nach Zelle 1 tunlichst paarweise zu bewirken, indem er in der Mitte geht und bei Fluchtverdächtigen die leicht zu handhabende Handfessel (nicht Handschellen, deren längere Zeit beanspruchen würde) anlegt. Bei der Überführung in das Rathaus bleibt der Gefangeneaufseher bei den noch nicht transportierten Gefangenen zurück, während der Transport selbst durch die Gendarmerie und den Polizeidiener auf sein Ersuchen zu bewirken ist. Der Transporteur hat ebenfalls in der Regel nur 2 Gefangene auf einmal wegzuführen und einem zuverlässigen Wächter, wenn möglich einem Polizeibeamten, bis zur Ankunft des Gefangenenaufsehers zu übergeben.
§ 9
Strafgefangne und Untersuchungsgefangene, Mitschuldige, männliche und weibliche Gefangene sind tunlichst getrennt zu halten.
§ 10
Strafgefangene, welche nicht fluchtverdächtig sind, können zu den Löschungs- und Rettungsarbeiten, so lange die Feuerwehr fehlt, herangezogen werden.
§ 11
Nicht fluchtverdächtige Strafgefangene können, wenn die Bewachung und Festhaltung sämtlicher Gefangenen auf bedeutende Schwierigkeiten stößt, mit der Weisung einstweilen entlassen werden, sich zu einem bestimmten Zeitpunkt zur weiteren Strafverbßung wieder zu stellen.
§ 12
Nach Rettung und Sicherung der Gefangenen ist auf Rettung der ihnen gehörenden Sachen und des Gefängnisinventars Bedacht zu nehmen.
§ 13
Beim Ausbruch eines nahen Gewitters finden die vorstehenden Bestimmungen entsprechende Anwendung. Während des Gewitters bei nacht sind die Gefangenen zu wecken, sie haben sich anzukleiden und dürfen sich erst nach beendigung des Gewitters auf Anordnung des Aufsehers wieder zur Ruhe legen.
Das war schon spannend, wenn ich vom Berghang kommend, mit meiner Tante in die Stadt lief. Die Glasscherben auf der Mauer und machmal ein Blick auf die Insassen.
Hallo Kalle, an die Glasscherben kann ich mich auch noch erinnern…. Viele Grüße!
Lieber Friedbert,
das hört sich lustig an und kommt aus einer anderen Zeit. Heute sind wir viel weiter:
Die Versammlungsstättenverordnung des Landes Niedersachsens hat 51 (einundfünfzig) Paragraphen mit fünf Anhängen. Dazu gibt es zahlreiche Durchführungsverordnungen.
z.B, zu § 39: 2 Die Industrie- und Handelskammer Hannover kann zum Nachweis der Befähigung nach Satz 1 einen Befähigungsausweis nach Anlage 1 ausstellen. 3 Die Befähigung nach Satz 1 kann auch durch einen Befähigungsausweis nachgewiesen werden, der in einem anderen Land ausgestellt worden ist.
Das ist Deutsch, die Sprache von Goethe und Schiller!
Dagegen ist die Feuerordnung (schöner Begriff: die Ordnung des Feuers) zumindest verständlich!
Liebe GrüÃe aus dem deutlich weniger bürokratisierten Hamburg, da hat die Versammlungsstättenverordnung nur 48 Paragraphen! ð
Dein HW
Lieber Heinz-Werner,
vielen Dank für die freundliche Reaktion. Einmal sensibilisiert lassen sich viele Beispiele finden. Glücklicherweise in vielen Fällen so absurd, dass selbst die Rechtsanwender in den Verwaltungen den Kopf schütteln. Viele Grüße!
Lieber Friedbert,
danke für deinen Schmunzelbeitrag!
Weißt du eventuell auch wo dieses Amtsgerichtsgebäude in der Wilhelmstraße war?
Ich habe keine Ahnung und fände das – gerade als Bewohner der Wilhelmstraße – doch ganz interessant.
Übrigens, da kann man doch mal sehen, wie sich die Zeiten geändert haben:
der Schwager des spanischen Königs Felipe, Inaki Urdangarin, ist zu einer mehrjährigen Haft verurteilt worden.
Allerdings durfte er sich die Haftanstalt aussuchen.
Entschieden hat er sich für ein kleines Frauengefängnis im Dörfchen Brieva.
Honi soit qui mal y pense!
Viele Grüße
Christian
Danke für die freundliche Reaktion. Die genaue Lage des damaligen Amtsgerichts werde ich recherchieren, ich bin auch daran interessiert.