Monatsarchiv: November 2020

Zum 9. November: Die Aufarbeitung lokaler NS-Geschichte bleibt wichtig

„Friederike Wieking-Fürsorgerin, Polizeiführerin und KZ-Leiterin“ ist der Titel eines in diesen Tag neu erscheinenden  Buches (zu bestellen über info@heimatverein-grafschaft.de, ISBN 978-3-9818211-8-5), das zur Aufarbeitung deutscher und auch lokaler Geschichte einen wichtigen Beitrag leistet. In vier Kapiteln und über 347 Seiten  beschreibt der Historiker Sören Groß das Leben und Wirken einer Frau, die 1891 in Gildehaus geboren und dort aufgewachsen ist. Noch im Kaiserreich und dann in der Weimarer Republik  baute sie als sozial orientierte Fürsorgerin zunächst das Berliner Pflegeamt und dann die Weibliche Kriminalpolizei auf. Als leitende Mitarbeiterin des Reichssicherheitshauptamtes unter der Leitung von Heinrich Himmler war sie später mit der administrativen Leitung von drei Jugendkonzentrationslagern betraut. Nach dem Krieg gehörte sie zum Heer der Täter*innen,  die von persönlicher Verantwortung und Schuld nichts wissen wollten. Herausgegeben wird das Buch vom Heimatverein der Grafschaft Bentheim. Uwe Fitzek schreibt in seiner Eigenschaft als Vorsitzender im Vorwort: „Der Heimatverein der Grafschaft Bentheim sieht diese geschichtswissenschaftliche Publikation als einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur an. Den nationalsozialistischen Terror und die Gräueltaten des NS-Regimes, begangen von Mitläufern, Nutznießern oder Tätern, müssen auch weiterhin durch Wissenschaft und Forschung ergründet, bearbeitet und dokumentiert werden.“  Die wissenschaftlich fundierte Arbeit ist für den geschichtsinteressierten Laien sehr gut lesbar. Dazu trägt einmal mehr die hervorragende Gestaltung durch den  Verlag A. Hellendoorn sowie die reichhaltige Verwendung von Bildern, Zeitungsausschnitten, Dokumenten und Statistiken bei. Gewidmet hat es der Autor dem Gedenken an die Opfer der Jugendkonzentrationslager.

Wie der Heimatverein drängt auch Peter Weidner für die Geschichtswerkstatt Curriculum Vitae e.V. als Mitherausgeber des Buches auf die weitere Aufarbeitung der braunen Geschichte Bentheims und des Bentheimer Landes. Er nannte in diesen Tagen in einer Mail  Themen, nämlich  die Geschichte der Gestapo und Grenzpolizei Bentheim mit 155 Beamten, das Erbgesundheitsgericht beim Amtsgericht Bentheim, das Bentheimer Gefängnis, die Naziparteileute, die Verfolgung der Juden, die Bentheimer Eisenbahn, die Sterilisationen im Kreiskrankenhaus, die Deportationszüge aus Holland, die Hitlerjugend.

Ich meine ebenfalls, dass die Aufarbeitung der Vergangenheit wichtiger Teil der Erinnerungskultur, des Gedenkens an die Opfer ist. Und darüber hinaus ist die Aufarbeitung und Kenntnis für die Gegenwart von großer Bedeutung. Heutige und künftige Generationen können damit erkennen, dass Hass, Rassismus und Nationalismus ein furchtbarer Irrweg sind. Sie werden daran erinnert, wie leicht und doch folgenschwer Menschen verführt werden können.

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Jede Stimme zählt

Ich gebe es zu: in der gestrigen Ratssitzung habe ich zwischendurch mehrmals meine Tagesschau-App in Erwartung guter Nachrichten aus den USA aufgerufen. Und tatsächlich beruhigten einige Zwischenergebnisse, wenngleich ich dem amerikanischen Schriftsteller Tom Boyle leider zustimmen muss. Er bezeichnete die Präsidentenwahl unabhängig vom Ausgang schon jetzt als „Desaster für unsere Demokratie“. Beschädigt ist in meinen Augen einmal mehr die Demokratie weltweit. Durch die Wahl mit all seinen unrühmlichen Begleitumständen und erst recht durch die Politik eines Präsidenten der früheren Führungsmacht der freien Welt wurde und wird das Vertrauen in demokratische politische Entscheidungsprozesse schwer erschüttert.

Welch ein Gegensatz zwischen diesen Entwicklungen in den USA und den zwar oft umstrittenen, aber überwiegend auf Ausgleich und Akzeptanz ausgerichteten Entscheidungsprozessen auf dieser Seite des Atlantiks. Und ein kleines, für uns Bentheimer*innen dennoch nicht unbedeutendes Rädchen dieser funktionierenden Demokratie war an diesem herbstlichen Mittwochabend im Forum der Bentheimer Stadtrat. Der Rat beschäftigte sich fast vier Stunden lang unter anderem mit den Grundlagen eines aktualisierten Raumordnungsprogramms,  mit Fakten zur Fortschreibung des Wohnraumversorgungskonzeptes und mit Prognosen zur Kitakinder- und Schulkinderzahlen. All das sind Grundlagen für weitreichende Entscheidungen in unserer Stadt, die Einfluss auf wichtige Lebensbereiche aller Einwohner*innen haben. Entscheidungen werden auf der Basis von Fakten vorbereitet. Das ist mühsam, erfordert hohen Aufwand aller Beteiligten und am Ende möglicherweise Zugeständnisse  und Kompromisse. Das Ergebnis sind in der Regel transparente Entscheidungen nach Faktenlage, die gerade deshalb akzeptiert werden können.

Welch ein Unterschied zu  einer Politik  mit ständigen Falschinformationen und Diffamierungen, die nicht einmal das Votum der Wähler*innen akzeptiert.  Wir haben ausgelernt vom ehemaligen Lehrmeister und das politische System emanzipiert.  Jetzt können wir noch lernen, wie es nicht laufen darf. Lieber rauchende Köpfe als rauchende Colts!

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