„Zurückblicken um der Zukunft wegen“


Ein beschämender Antisemitismus begegnet uns in dieser Zeit. Rund um das heutige Datum herum, jedoch selbstverständlich nicht ausschließlich am 9. November, empfinden viele Bentheimer dies als Ausdruck von Geschichtslosigkeit und Geschichtsvergessenheit. Das wurde gestern bei der Eröffnung der kleinen Ausstellung „Stolpersteine – Gedenken und Soziale Skulptur“ im Rathaus (bis 20.11. zu den Öffnungszeiten) deutlich. Der Sitzungssaal war sehr gut gefüllt, als zunächst Gerd Naber vom Forum Juden/Christen zum jüdischen Leben in der Grafschaft informierte und Liesel Schmidt und Hermann de Leve das Projekt Stolpersteine  in Bad Bentheim näher beleuchteten:

  • Jüdisches Leben in Bentheim wird nachgewiesen seit 1655. 1853 entstand die Synagoge. Auch eine jüdische Schule in der Wilhelmstraße kam hinzu. Das Zusammenleben im Ort kann über Jahrhunderte bis zum Beginn der Nazigreuel als passive Toleranz bezeichnet werden. 1933 lebten noch 13 jüdische Familien sowie einige Einzelpersonen in Bentheim und Gildehaus. Die Zerstörung der Synagoge am 9. und 10. November war das Ende der jüdischen Gemeinde. Nur wenige Menschen konnten sich retten und überleben.
  • Im Jahre 1985 wurde in der ehemaligen Poststiege, jetzt Synagogenstiege, der Gedenkstein mit der Inschrift „Nicht sterb ich, nein ich lebe“ und dem abgestorbenen Baum, aus dem neues Leben sprießt, gesetzt. Die Initiative entstammt der reformierten Kirchengemeinde, die etliche jüngere und ältere Mitbürger daran beteiligte. Seit 2004 wurden 53 Stolpersteine in der Stadt gelegt. Bernd Sundhoff und etliche Mitstreiter sorgten für das Gedenken an die ermorderten jüdischen Mitbürger sowie weitere Opfer der Naziherrschaft  in Form dieses Erinnerungsprojektes. Etliche Bentheimer pflegen seitdem die Steine und organisieren jetzt zusammen mit der Stadt jährliche Gedenkfeiern.

Eindrucksvoll wurde bei der Ausstellungseröffnung Sinn und Zweck der Stolpersteine mit den wichtigsten Lebensdaten der Opfer beschrieben: an den Steinen stehen bleiben – sich verneigen und dabei lesend informieren – den Weg fortsetzen. Es ist und es wird wichtig bleiben, die Personen mit ihren Namen und Lebensdaten sichtbar zu machen, die in den Häusern an den Stolpersteinen gelebt haben.

Ich meine, wir haben in Bad Bentheim eine angemessene, würdevolle Erinnerungskultur, die es fortzusetzen gilt. Allen daran Beteiligten ist zu danken und ihre Tätigkeit in diesem Sinn ist es wert, unterstützt zu werden. Besonders wichtig scheint mir dabei zu sein, den Blick auch nach vorne zu richten und junge Menschen zu beteiligen.

Dem Leitspruch niederländischer Initiativen „Zurückblicken um der Zukunft wegen“ kommt daher bei der Lokalgeschichtsschreibung, beim Gedenken an die ermordeten und vertriebenen Opfer und bei der gesamten Erinnerungsarbeit eine besondere Bedeutung zu. Konstantin Wecker hat es in „Sage nein“ so gut auf den Punkt gebracht:

„Wenn sie jetzt ganz unverhohlen
Wieder Nazi-Lieder johlen,
Über Juden Witze machen,
Über Menschenrechte lachen,
Wenn sie dann in lauten Tönen
Saufend ihrer Dummheit frönen,
Denn am Deutschen hinterm Tresen
Muss nun mal die Welt genesen,
Dann steh auf und misch dich ein:
Sage nein!
Meistens rückt dann ein Herr Wichtig
Die Geschichte wieder richtig,
Faselt von der Auschwitzlüge,
Leider kennt man’s zur Genüge
Mach dich stark und misch dich ein,
Zeig es diesem dummen Schwein
Sage nein!
Ob als Penner oder Sänger,
Banker oder Müßiggänger,
Ob als Priester oder Lehrer,
Hausfrau oder Straßenkehrer,
Ob du sechs bist oder hundert,
Sei nicht nur erschreckt, verwundert,
Tobe, zürne, misch dich ein
Sage nein!
Und wenn aufgeblasene Herren
Dir galant den Weg versperren
Ihre Blicke unter Lallen
Nur in Deinen Ausschnitt fallen.
Wenn sie prahlen von der Alten,
Die sie sich zu Hause halten,
Denn das Weib ist nur ‚was wert
Wie dereinst an Heim und Herd,
Tritt nicht ein in den Verein,
Sage nein!
Und wenn sie in deiner Schule
Plötzlich lästern über Schwule,
Schwarze Kinder spüren lassen,
Wie sie andre Rassen hassen,
Lehrer, anstatt auszusterben,
Deutschland wieder braun verfärben,
Hab dann keine Angst zu schrei’n
Sage nein!
Ob als Penner oder Sänger,
Bänker oder Müßiggänger,
Ob als Priester oder Lehrer,
Hausfrau oder Straßenkehrer,
Ob du sechs bist oder hundert,
Sei nicht nur erschreckt, verwundert,
Tobe, zürne, misch dich ein
Sage nein!“

 

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Ein Kommentar

Eingeordnet unter Bad Bentheim, Uncategorized

Eine Antwort zu “„Zurückblicken um der Zukunft wegen“

  1. Stefan Heller

    Vielen Dank für den Beitrag.
    Erst vor kurzem ist mir diese Cover-Version des tollen Liedes begegnet. Herr Wecker macht im Video auch mit: https://www.youtube.com/watch?v=LEH_cBe9KfU
    Viele Grüße aus dem Rheinland

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