„Was weiß schon die Schule von den wahren Bedürfnissen der Kinder?“ Und: „Die Verkürzung des Lebens auf das Ökonomische ist ein großer Fehler“ (Thomas Sattelberger, Personalvorstand der Deutschen Telekom). Den zwei Thesen aus dem Dokumentarfilm „alphabet – Angst oder Liebe“ stimme sicher nicht nur ich voll und ganz zu. Der österreichische Dokumentarfilmer Erwin Wagenhofer kritisiert darin eindrucksvoll, das Leistung zum unerbittlichen Maß aller Dinge bereits in der Schule wird. Sein Statement:
- Die Fixierung auf normierte Standards beherrscht den Unterricht. Leistung, Prüfungsstress, Dauerdruck und Angst stehen einseitig im Vordergrund. Spielerische Kreativität verkümmert, wie auch Zuwendung, Vertrauen und Liebe für das Kind. Bildung sollte mehr sein.
Einige weitere bemerkenswerte Kernaussagen:
„Sie können keinen Menschen zwingen, sich zu bilden, sie können ihn nur einladen“ Prof. G. Hüther, Hirnforscher
„Die Fähigkeit zu unangepasstem Denken, was bedeutet, das es auf eine Frage mehr als eine Antwort geben kann, besitzen 98 % der Kindergartenkinder, aber im Laufe der heutigen Schulbildung nimmt diese Fähigkeit kontinuierlich und radikal ab.“ (Sir Ken Robinson, International anerkannter Bildungsexperte und Erziehungswissenschaftler)
„Schaffen wir die richtigen Bedingungen in unseren Schulen, schätzen wir alle Lernenden für das, was sie sind, und zwar aufrichtig. Dann entsteht Wachstum.“ (Sir Ken Robinson)
Besonders das letztgenannte Zitat führt zu den Bemühungen, (auch) den Lernort Schule grundlegend zu reformieren. Vor über 12 Jahren sorgten die „Leipziger Thesen“, formuliert von Sachverständigenkommissionen für den 11. Jugendbericht und der Arbeitsgemeinschaft der Jugendämter, für leider nur vorübergehende Aufmerksamkeit. Ihr Credo war „Bildung ist mehr als Schule“. Die Thesen kritisieren den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg und kritisieren, das das Deutsche Bildungssystem soziale Ungleichheit verstärkt. Die Leipziger Thesen fordern weiterhin und unter anderem Chancengleichheit für Migranten und mehr Ganztagsangebote.
Einiges wurde auf den Weg gebracht wie beispielsweise der Ausbau der Ganztagsschule und neuerdings auch der Schulsozialarbeit. Aber es bleibt ein mühsames Ringen in der deutschen Kleinstaaterei und im Reich der Bewahrer eines lange überholten Systems. Bildungspolitik bleibt eines der Politikfelder, in denen mehr Radikalität wünschenswert ist, weil es um die Zukunft von Menschen geht. Beiträge wie die leider in Vergessenheit geratenen Leipziger Thesen und wie der Dokumentarfilm „alphabet-Angst oder Liebe“ verdienen es, stärker wahr genommen zu werden.
Den Film möchte ich allen an Bildungspolitik Interessierten in Politik (Kongressen und Tagungen) und Schulen (zum Beispiel für schulinterne Fortbildungen) und auch Eltern wärmstens empfehlen. Erste Infos gibt es auf der Homepage http://www.alphabet-film.com
Tja, wenn technokratische »Beamte« (damit meine ich weniger Beamte als mehr deren Sessel) die Schule machen, frage ich mich schon, wie diese ihre Schulzeit erlebt haben oder erleben durften. Kreativ?